– Christian Hoffmann –

Eine Umstellung aufgrund von Nebenwirkungen bei einer ansonsten effizienten Therapie ist meist recht einfach. Das verdächtige Medikament wird durch ein anderes aus der gleichen Klasse ersetzt. Schwieriger wird es, wenn auch die Ersatzmedikamente aufgrund potentieller Toxizitäten kontraindiziert sind oder zu vermuten ist, dass gegen einige bereits Resistenzen vorliegen. Gerade in sehr komplexen Fällen mit inzwischen oft über 10-15 Jahre bestehender Vortherapie kann nur individuell entschieden werden. Auch erfahrene Behandler sollten komplexe Fälle mit Kollegen besprechen; Teambesprechungen sind dabei hilfreich. In Zentren wie zum Beispiel Frankfurt wurden „Umstellungssprechstunden“ etabliert, in denen in großer Runde schwierige Fälle gemeinsam von Virologen (wissen meist, was bei der speziellen Resistenzlage Sinn machen könnte) und Klinikern (wissen meist, was bei ihrem Patienten keinen Sinn macht) diskutiert werden.

In diesem Kapitel sollen zwei wichtige Situationen besprochen werden: die Umstellung bei virologischem Versagen und die Umstellung zur Vereinfachung der ART. Die Umstellung aus Sorge vor Nebenwirkungen ist in dem vorangegangenen Kapitel besprochen worden.

Umstellung bei virologischem Versagen

Es gelten im Prinzip die gleichen Bedingungen wie für die Primärtherapie. Berücksichtigt werden sollten Compliance, Einnahmemodalitäten, Begleiterkrankungen und Komedikationen/Interaktionen. Zusätzlich spielen jedoch die Vortherapie und möglicherweise bestehende Resistenzen eine entscheidende Rolle.

Eine Resistenztestung ist bei virologischem Versagen im Prinzip vor jeder Umstellung wünschenswert und auch durch die Krankenkassen erstattungsfähig, aber nicht immer praktikabel. Es ist deshalb von Nutzen, die wesentlichen Resistenzmutationen zu kennen, insbesondere bei den Nukleosidanaloga (Tabelle 8.1).

Tabelle 8:1: Zu erwartende Resistenz bei verschiedenen NRTI-Backbones
Versagender Nuke-Backbone Mutationen
AZT/D4T+3TCAZT+3TC+ABC M184V und sequentiell TAMs, je länger gewartet wird
TDF+3TC/FTC K65R und/oder M184V
ABC+3TC L74V > K65R und/oder M184V
AZT/D4T+DDI TAMs, Q151M, T69ins
TDF+ABC/DDI K65R

Grundsätzlich gilt für eine Umstellung bei virologischem Versagen: Je schneller umgestellt wird, desto besser. Dem Virus darf keine Zeit gelassen werden, weitere Resistenzmutationen zu generieren. Je länger gewartet wird, desto komplexer wird das Resistenzmuster (Wallis 2010). Und: Je mehr Substanzen umgestellt werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die neue Therapie greift.

Bei den NNRTIs ist die Lage einfacher: es liegt meist eine Kreuzresistenz gegen Efavirenz und Nevirapin vor. Eine Fortführung eines NNRTIs bei Resistenzen nützt auch nichts, da sie die replikative Fitness der Viren nicht beeinträchtigt. Mehr noch: durch kumulative Resistenzen sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der Zweitgenerations-NNRTI Etravirin noch wirkt. Bei einer Resistenz ist der NNRTI daher entweder zu beenden oder durch Etravirin, wenn es die Situation erlaubt (Etravirin ist nur für die Kombination mit geboosterten PIs zugelassen), möglichst rasch zu ersetzen.

Bei den PIs bestehen ebenfalls relevante Kreuzresistenzen. Spätestens ab dem zweiten PI beginnt der Salvage-Bereich, der im nächsten Kapitel behandelt wird. Anhaltspunkte, wie ohne Kenntnis der Resistenzlage verfahren werden könnte, liefert die Tabelle 8.2. Zu beachten ist, dass es nicht für alle Optionen ausreichend Daten gibt. Angesichts der ermutigenden Monotherapiestudien mit Lopinavir/r und Darunavir/r, die alleine meist auch schon reichen, muss aber bei begrenzter Resistenzlage, also bei raschem Umsetzen auf diese geboosterten PIs, wohl nicht gleich die ganze ART umgeworfen werden. In einer Studie zeigte sich, dass zum Beispiel bei alleiniger Detektion der häufigen NRTI-Mutation M184V die Cytidinanaloga 3TC oder FTC weiter gegeben werden können, wenn ein geboosterter PI begonnen wird – die Wirkung des geboosterten PIs reicht für den virologischen Erfolg aus, durch 3TC wird wohl M184V konserviert und damit die virale Fitness beeinträchtigt (Hull 2009). Derzeit gibt es Überlegungen, evtl. feste Kombinationen aus geboosterten PIs und 3TC zu entwickeln.

Tabelle 8.2: Mögliche Umstellung einer Primärtherapie ohne Kenntnis der Resistenzlage*

Versagende Primärtherapie Erfolgversprechende Umstellung
3 NRTI Statt dem 3. NRTI einen PI/r (bei raschem Handeln) oder 1-2 neue NRTI plus NNRTI oder RAL
2 NRTI + 1 NNRTI Statt dem NNRTI einen PI/r (bei raschem Handeln) oder 1-2 neue Nukes plus RAL oder MVC*
2 NRTI + 1 PI/r 1-2 neue Nukes plus NNRTI plus neuer PI/r oder RAL oder MVC*
*Im individuellen Fall können andere Umstellungen oder ein Abwarten sinnvoll sein. Alle PIs sollten geboostert werden = PI/r. *Maraviroc nur, wenn Tropismus-Test vorliegt. Für komplexere Resistenzlagen siehe auch Salvage-Kapitel.

Die bloße Hinzugabe einer Substanz bei virologischem Versagen kann in Einzelfällen sinnvoll sein. Für Abacavir wird dies allerdings kontrovers diskutiert. Im Gegensatz zu einer plazebokontrollierte Studie (Katlama 2001) zeigt sich in der klinischen Praxis meist kein anhaltender Effekt durch die alleinige Gabe von Abacavir zu einem versagenden Regime (Cabrera 2004). Auch die Hinzugabe von Tenofovir scheint in bestimmten Fällen denkbar (Khanlou 2005, Schooley 2002). Wir haben mit einer solchen Intensivierung bei nur gering erhöhter Viruslast (bis 500 Kopien/ml) und fehlenden TAMs bislang gute Erfahrungen gemacht.

Bei Patienten mit ausschließlicher und vor allem längerer NRTI-Vortherapie verspricht ein solches Vorgehen jedoch meist keinen Erfolg. Oft liegen bereits mehrere Resistenzmutationen vor, sodass eine größere Umstellung der Therapie nötig ist. Bei allen Patienten mit längerer NRTI- und NNRTI-Vortherapie sollte in jedem Fall ein geboosterter PI eingesetzt werden. Bei einem versagenden PI-Regime reicht ein neuer NNRTI alleine oft nicht aus (Abgrall 2007, Khaykin 2008). Je nach Resistenzlage und Dauer der Vortherapie ist hier auch zu erwägen, ob mit Maraviroc oder Raltegravir noch eine neue Substanzklasse integriert werden könnte. Für komplexere Resistenzen siehe das Salvage-Kapitel.

Umstellen um zu vereinfachen – funktionieren „Erhaltungstherapien“?

Kann man die HIV-Infektion, analog zu Mykobakterien, mit einer Sequenz aus intensiver Induktionstherapie behandeln, der dann eine weniger toxische (und weniger teure) Erhaltungstherapie folgt? Bis 2003 lautete die Antwort eindeutig: Nein. Drei randomisierte Studien (Trilège, ADAM, ACTG 343) hatten die Hoffnung zunichte gemacht, man könne eine ART auf zwei oder gar ein Medikament reduzieren. Freilich wurden dabei – aus heutiger Sicht – veraltete Substanzen wie Saquinavir, Indinavir oder Nelfinavir eingesetzt (Havlir 1998, Reijers 1998, Flander 2002).

In den letzten Jahren sind bessere Medikamente auf den Markt gekommen. Vor allem Lopinavir und Darunavir mit ihrer hoher Resistenzbarriere konnten das negative Bild der Erhaltungstherapien wieder etwas zurecht rücken. Für beide gibt es sogar randomisierte Studien, aber auch andere PIs sind als „PI/r-Mono“ versucht worden (Tabelle 8.3).

Sie zeigen, dass in den meisten Fällen eine virologische Suppression erhalten blieb, wenn auf PI/r-Monotherapie gewechselt wurde. In der OK04-Studie mit Lopinavir/r konnte sogar die Lipoatrophierate reduziert werden, die Beobachtungszeit währt inzwischen bis zu vier Jahre (Cameron 2007, Pulido 2008). Allerdings waren bei einigen Patienten unter Lopinavir/r niedrige Virämien zu beobachten, vor allem bei niedrigen CD4-Zellen oder, nicht unerwartet, bei schlechter Compliance (Campo 2007, Pulido 2008, Gutmann 2010). Gleiches ist auch bei therapienaiven Patienten zu beobachten (siehe oben).

Für Darunavir wurden mit MONET und MONOI zwei große randomisierte Studien mit fast identischem Design veröffentlicht (Katlama 2010, Arribas 2010). In MONET konnte die Nicht-Unterlegenheit der Monotherapie nach 96 Wochen nicht ganz gezeigt werden, zumindest nicht in der Analyse des primären Endpunktes. Nach 96 Wochen waren im Standardarm 81 % unter der Nachweisgrenze, verglichen mit 75 % unter Darunavir-Mono. Sofern virologische erfolgreiche Therapiewechsel nicht als Versagen gewertet wurden, war der Unterschied nicht mehr zu erkennen. Ursache war möglicherweise eine niedrigere Adhärenz im Mono-Arm (es waren deutlich mehr HCV-koinfizierte Patienten im Mono-Arm). In MONOI besserte sich die Lipoatrophie bei einigen Patienten (Valantin 2010). Nach 48 Wochen zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Wirksamkeit, allerdings gab es auch hier vereinzelte Fälle virologischen Versagens. Nach 96 Wochen waren insgesamt transiente Virämien unter Monotherapie etwas häufiger, eine dauerhafte Kontrolle unter 50 Kopien/ml ohne jeden Blip wurde bei 59 % versus 70 % gefunden (Valantin 2011). Ein Therapieversagen war am besten mit der Höhe der proviralen DNA assoziiert (Marcelin 2011). Darunavir-Resistenzen fanden sich weder in MONET noch in MONOI. Möglicherweise sind die Darunavir-Spiegel ohne NRTIs etwas niedriger (Garvey 2010).

Zu anderen PIs gibt es weniger Daten. Zu Atazanavir/r gibt es einarmige Pilotstudien, in denen die Substanz als Monotherapie teilweise schwächelte. Eine Pilotstudie wurde gar abgebrochen, nachdem 5/15 Patienten ein virologisches Versagen gezeigt hatten (Karlstrom 2006). In der Ataritmo-Studie war unter Atazanavir bei einigen Patienten eine erhöhte Viruslast im Liquor nachweisbar, bei ansonsten gut supprimierter Viruslast im Blut. In der OREY-Studie entwickelten immerhin 9/63 Patienten ein virologisches Versagen (Pulido 2009). Auch für Saquinavir existiert eine Pilotstudie (Patricia 2010).

Fazit: Monotherapien mit geboosterten PIs wie Lopinavir/r und Darunavir/r sind etwas weniger wirksam als klassische Therapien. Meist treten dann niedrige Virämien ohne Resistenzen auf, die bei einer erneuten Intensivierung wieder verschwinden. Als Risikofaktoren für das Versagen einer Monotherapie sind vor allem eine schlechte Compliance und ein niedriger CD4-Nadir zu nennen. Monotherapien als „theoretische“ Strategie sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht gerechtfertigt. In ausgewählten Fällen können sie jedoch helfen, Nebenwirkungen zu reduzieren.

Tabelle 8.3: Neuere Studien zum Switch auf „Erhaltungstherapien“ mit PI/r-Monotherapien

Quelle

N

„Erhaltung“

Wo

Unter 50 Kopien/ml?

Randomisiert

 

 

 

 

Nunes 2009 (KalMo)

60

LPV/r versus       2 NRTIs+LPV/r

96

80 vs 87 % (ITT, VL < 80)

Campo 2009 (M03-613)

155

LPV/r versus CBV+EFV

96

60 vs 63 % (ITT), aber mehr niedrige Virämien im Mono-Arm

Pulido 2008   (OK04 Study)

205

LPV/r versus
2 NRTIs+LPV/r

48

85 vs 90 % (ITT), Nicht-Unterlegenheit gezeigt, aber: niedrige Virämien häufiger

Meynard 2010 (KALESOLO)

186

LPV/r versus
ART-Fortführung

48

84 vs. 88 % (ITT), Nicht-Unterlegenheit nicht gezeigt, niedrige Virämien häufiger

Gutmann 2010

60

LPV/r versus
ART-Fortführung

24

21 % VF unter Mono!, vor allem bei niedrigem CD4-Nadir, Abbruch der Studie!

Arribas 2010  (MONET)

256

DRV/r versus

2 NRTIs+DRV/r

96

75 vs 81 % (ITT), Nicht-Unterlegenheit nicht ganz gezeigt

Katlama 2010 (MONOI)

225

DRV/r versus

2 NRTIs+DRV/r

48

94 vs. 99 %, Nicht-Unterlegenheit nur teilweise gezeigt (je nach Auswertung)

Andere

 

 

 

 

Kahlert 2004

12

IDV/r

48

92 %, 1 Abbruch, kein Versagen

Patricia 2010

17

SQV/r

48

94 %, 1 Fall VF

Karlstrom 2006

15

ATV/r

16

33 % VF, Studie deswegen abgebrochen

Vernazza 2007 (ATARITMO)

28

ATV/r

24

92 %, keine Resistenzen bzw. VF

Wilkin 2009 (ACTG 5201)

36

ATV/r

48

88 %, keine Resistenzen

Pulido 2009

(OREY)

61

ATV/r

48

79 % unter 400 Kopien/ml, allerdings mindestens 14 % VF

ITT = Intention to treat, VF = Virological Failure (Virologisches Versagen)

Umstellen um zu vereinfachen – Triple Nuke revisited

Auch Triple-Nuke, in der Primärtherapie weitgehend obsolet, scheint als Erhaltungstherapie eine gewisse Berechtigung zu haben. Mehrere randomisierte Studien konnten zumindest keinen virologischen Nachteil entdecken (Katlama 2003, Bonjoch 2005, Markowitz 2005, Sprenger 2010).

In der ESS40013-Studie erhielten 448 Patienten eine Therapie aus AZT+3TC+ABC plus Efavirenz. Nach 44 Wochen wurden 282 Patienten, bei denen die Viruslast zu diesem Zeitpunkt unter der Nachweisgrenze lag, randomisiert, die Therapie unverändert fortzuführen oder Efavirenz zu stoppen: Nach 96 Wochen waren noch 79 versus 77 % Patienten unter 50 Kopien/ml, die Nichtunterlegenheit von Triple-Nuke damit bewiesen (Markowitz 2005). In einer spanischen Studie erhielten 134 virologisch gut supprimierte Patienten entweder Trizivir® oder Combivir® plus Nevirapin (Bonjoch 2005). Nach 48 Wochen blieb die Viruslast in beiden Armen gleich oft unter der Nachweisgrenze (71 versus 73 % in der ITT-Analyse). Zu ähnlichen Ergebnisse kamen auch die TRIZAL- und die FREE-Studie (Katlama 2003, Sprenger 2010). In der Schweizer Kohorte zeigte sich eine niedrige Versagensrate bei 495 Patienten, die unter supprimierter Viruslast auf Trizivir® umgestiegen waren (3,2/100 Patientenjahre). Als Risikofaktoren für ein Therapieversagen unter Trizivir® fanden sich eine frühere Exposition mit Mono- oder Duo-NRTI-Therapie, niedrige CD4-Zellen oder AIDS vor der Umstellung (Wolbers 2007). Erste Langzeitergebnisse liegen auch für eine Quadruple-Erhaltung mit Trizivir®+Tenofovir vor (d’Ettore 2007, Llibre 2008).

Ein Ansatz, der in der französischen COOL-Studie verfolgt wurde, musste dagegen inzwischen wieder zu Grabe getragen werden. In dieser Studie wurden 143 Patienten über 48 Wochen auf TDF+3TC+Efavirenz oder TDF+Efavirenz randomisiert. Einschlusskriterium war eine ART mit einer Viruslast unter 50 Kopien/ml für mindestens drei Monate, Ausschlusskriterium ein vorheriges Therapieversagen. Die CD4-Zellen waren beliebig. Es zeigte sich ein signifikant schlechteres Ansprechen unter Duo- als unter Dreifachtherapie. Wichtig war auch, dass sich die Toxizitäten in beiden Armen nicht unterschieden – die zusätzliche Gabe von 3TC hat offensichtlich einen sehr wichtigen Effekt in der Virussuppression, erhöht aber nicht die Nebenwirkungsrate (Girard 2006).

Fazit: Erhaltungstherapien mit Trizivir® scheinen zu funktionieren, der Nutzen bleibt fraglich. Drei oder gar vier NRTIs sind möglicherweise toxischer als viele divergente Strategien. Andere Strategien wie Monotherapien sind ohne individuelle Begründung bzw. außerhalb klinischer Studien derzeit nicht gerechtfertigt.

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