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29.08.2020
HIV und COVID-19
Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass HIV-Proteasehemmer wahrscheinlich keinen Effekt auf SARS-CoV-2 haben. In der britischen RECOVERY-Studie wurde der Lopinavir/r-Arm mangels Wirksamkeit abgebrochen. Für Tenofovir sind noch einige Studien im Gange. Inzwischen gibt es allerdings einige neue Daten zur Koinfektion mit HIV/SARS-CoV-2. Wir werden in Kürze eine Übersicht dazu veröffentlichen. Bis dahin sei auf die Webseite COVIDreference.com verwiesen, hier findet sich unter Content – Comorbidities ein längeres Kapitel zu HIV und COVID-19 (Stand Ende Juni), das voraussichtlich Ende September aktualisiert und auf deutsch verfügbar sein wird.
01.03.2020
Hilft Lopinavir bei COVID-19?
von Christian Hoffmann
Aktuell verursacht das neue Coronavirus (2019-nCoV) eine Pandemie. Bis zum 1. März 2020 sind 87.161 Fälle bestätigt worden, 2.980 Menschen sind an der Erkrankung COVID-19 gestorben. Die Mortalität von COVID-19 scheint niedriger als bei SARS und MERS, aber höher als bei Influenza zu sein. Die Infektiosität ist hoch, medikamentöse Behandlungsoptionen sind dringend notwendig. Es gibt keine spezifischen Therapien für COVID-19. Für die Entwicklung neuerer Medikamente oder einen Impfstoff ist die Zeit zu knapp. Seit einigen Jahren wird immer wieder der alte HIV-Proteasehemmer Lopinavir genannt, wenn es um die Behandlung von Coronaviren geht. Kaletra® braucht für HIV kein Mensch mehr, auch seine Generika nicht (Diarrhoen, Interaktionen, Pillenzahl). Fallberichte bei Patienten mit COVID-19 kursieren nun seit einigen Tagen im Internet und sorgen für Aufsehen. Selbst in einen Laiensendung „Hart aber Fair“ raunen Montagabends zur besten Sendezeit schon Experten von „Tests zu AIDS-Medikamenten“. Wie ist die aktuelle Datenlage?
Die Epidemien mit SARS-CoV in 2002 und MERS-CoV in 2012 sind unvergessen. Wie 2019-nCoV sind beide ebenfalls Beta-Coronaviren. Zwischen 2019-nCoV und SARS-CoV besteht zu 79.0 % Übereinstimmung in der Nukleotidsequenz, mit MERS-CoV noch zu 51.8 %. Die Proteinase ist ein Schlüsselenzym für Coronaviren, es gibt eine Fülle von Daten aus Labor- und Tierversuchen, sowohl zu SARS-CoV und MERS-CoV. Lopinavir scheint sowohl gegen MERS-CoV als auch gegen SARS-CoV einen Effekt zu haben und einen Post-Entry-Schritt im Replikationszyklus zu hemmen. In Zellkulturen war es unter 4 von 348 gescreenten FDA-zugelassenen Medikamenten, bei denen ein Effekt in Zellkulturen bereits in niedrig-molekularen Konzentrationen gegen MERS-CoV nachgewiesen wurde (de Wilde 2020). Allerdings ist die Datenlage nicht einheitlich, es gibt auch Laborarbeiten, die einen Effekt gegen Coronaviren an sich bezweifeln, möglicherweise aufgrund niedriger Konzentrationen ungebundenen Lopinavirs (Chen 2004, Zhang 2004, Nukoolkarn 2008, Sheahan 2020).
SARS-CoV: Es gibt bislang zwei Studien, in denen jeweils Patienten mit historischen Kontrollen verglichen bzw. gematcht wurden. Beide bergen die typischen Gefahren solcher Studien – sind die historischen Kontrollen, war das Setting wirklich vergleichbar? Eine retrospektive Studie aus dem Hong Kong Medical Journal analysierte 75 SARS-Patienten, von denen 44 sofort („initial“) behandelt wurden, 31 erst später („rescue“) bei Verschlechterung (Chan 2003). Die 44 sofort behandelten Patienten wurden mit 634 SARS-Patienten verglichen, die für Geschlecht, Alter, Komorbidität und LDH-Höhe „gematcht“ wurden. Die 31 später behandelten Patienten wurden mit 343 Patienten verglichen, die zusätzlich zu den vier Parametern und die Gabe von Methylprednisolon gematcht wurden. Die initial mit Lopinavir/r behandelten Patienten hatten niedrigere Mortalität und Intubationsraten als ihre Kontrollen (2.3 % versus 15.6 %, 0 versus 11.0 %). Bei der Rescue-Therapie gab es keine Unterschiede. Das Hong Kong Medical Journal steht nun nicht unbedingt für Rocket Science; es bleiben einige Fragen, die wichtigste wäre, ob das Matching für die 4-5 Parameter wirklich gut genug war.
In einer zweiten Studie wurden 41 Patienten mit Lopinavir (400 mg/Ritonavir 100 mg) alle 12 Stunden für 14 Tage behandelt und mit 111 Patienten verglichen, die in den vier Wochen zuvor nur mit Ribavirin behandelt worden waren und als „historische“ Kontrollen dienten (Chu 2004). ARDS oder Tod war in der Behandlungsgruppe am Tag 21 nach Auftreten der Symptome signifikant niedriger als in den historischen Kontrollen (2,4% gegenüber 28,8%, p <0,001). Der Effekt blieb zwar bestehen, wenn auf verschiedene Risikofaktoren adjustiert wurde, doch gab es zum Teil deutliche Unterschiede zwischen den Lopinavir-Patienten und den historischen Kontrollen (kürzere Dauer der Symptome, niedrigere LDH, höhere Thrombozyten). Die Frage ist auch hier, ob diese Unterschiede korrekt „herausgerechnet“ werden konnten. In einer kleiner Gruppe zufällig ausgewählter Patienten (n=6) war der Abfall der 2019-nCoV-Viruslast in nasopharyngealen Abstrichen allerdings deutlich schneller als in den Kontrollen (n=12).
MERS-CoV: Es gibt 2 Fallberichte, die auf einen gewissen Effekt hinweisen (Spanakis 2014, Kim 2016). In der einzigen „größeren“ Studie wurde Lopinavir/r plus Ribavirin als Postexpositionsprophylaxe gegeben. In Südkorea erhielten 22 Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die in hochriskantem Kontakt mit einer schwerkranken MERS-Patientin waren (Kontakte vor der Diagnose bzw. Isolation), für insgesamt 11-13 Tage Lopinavir/r. Auch hier wurde retrospektiv eine Kontrollgruppe aus 21 Mitarbeitern gewählt, die in 4 anderen Krankenhäusern ebenfalls mit MERS-Patienten zu tun gehabt hatten. Unter den PEP-Usern infizierte sich niemand mit MERS-CoV, unter den Kontrollen 6 (29%). Auch hier blieben viele Fragen – die Exposition ist letztlich schwer bzw. kaum quantifizierbar.
2019-nCoV: Von 4 Patienten in Shanghai zeigten 3 eine Besserung pulmonaler Symptome, alle erhielten noch Chinesische Medizin und Umifenovir (Abidol), ein in Russland und China zugelassenes Grippe-Mittel (Wang 2020). Ist das aussagekräftig? Bei vielen Patienten ist sehr rasch eine klinische Besserung zu beobachten, auch ohne Lopinavir/r. Eine retrospektive Analyse zeigte bei 134 Patienten vom 20. Januar bis 6. Februar 2020 mit COVID-19-Pneumonie keine Unterschiede zwischen Lopinavir/r, Umifenovir und Kontroll-Patienten (Chen 2020). Nach 7 Tagen war die 2019-nCoV-PCR in 72%, 83% und 77% negativ (P=0.79). Leider ist das volle Paper nur auf, nun ja, fachchinesisch erhältlich, angesichts des unkontrollierten Designs ist nicht klar, ob die Patienten mit Lopinavir/r kränker waren als die anderen – auch eine Verzerrung in diese Richtung ist letztlich denkbar.
Bewertung: Die Datenlage ist dünn. Die beiden SARS-Studien sind retrospektiv und störanfällig, ebenso die PEP-Studie bei MERS. Fallberichte sagen nichts. Nichtsdestotrotz wird Lopinavir/r in den chinesischen Empfehlungen als antivirales Medikament empfohlen. Es hat außerdem den Vorteil, dass es allseits verfügbar und viel besser erprobt ist als andere Optionen wie zum Beispiel Remdesivir oder Interferone. Außer Diarrhoen passiert nicht viel, allerdings sind die vielfältigen Interaktionen zu beachten. Wirken eventuell auch andere PIs? Auch für Nelfinavir wurde im Labor ein Effekt beschrieben (Yamamoto 2004). Janssen-Cilag verschiffte Ende Januar eine Ladung Darunavir für Studien nach China, ein Sprecher meinte, es gäbe „anekdotische Berichte für eine Wirkung“, man habe allerdings keine eigenen Daten.
Man muss Lopinavir/r aktuell nicht bunkern. Großbritannien verhängte dennoch am 26. Februar einen Exportstop. Derzeit laufen nicht weniger als 9 randomisierte Studien zu Lopinavir/r in China, im April ist angeblich mit ersten Daten zu rechnen. Man kann nur hoffen, dass die Qualität der Studien besser als die bisherigen ist. Trotz aller Zweifel: Es hat für HIV-infizierte Patienten bis dahin vermutlich auch schon schlechtere Tage gegeben, einen HIV-Proteasehemmer einnehmen zu müssen.
Literatur
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de Wilde AH, Jochmans D, Posthuma CC, et al. Screening of an FDA-approved compound library identifies four small-molecule inhibitors of Middle East respiratory syndrome coronavirus replication in cell culture. Antimicrob Agents Chemother 2014, 58:4875-84.
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Sheahan TP, Sims AC, Leist SR, et al. Comparative therapeutic efficacy of remdesivir and combination lopinavir, ritonavir, and interferon beta against MERS-CoV. Nat Commun 2020, 11:222.
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Nukoolkarn V, Lee VS, Malaisree M, et al. Molecular dynamic simulations analysis of ritonavir and lopinavir as SARS-CoV 3CL(pro) inhibitors. J Theor Biol 2008, 254:861-867.
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Zhang XW, Yap YL. Old drugs as lead compounds for a new disease? Binding analysis of SARS coronavirus main proteinase with HIV, psychotic and parasite drugs. Bioorg Med Chem 2004, 12:2517-21.
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Chen F, Chan KH, Jiang Y, et al. In vitro susceptibility of 10 clinical isolates of SARS coronavirus to selected antiviral compounds. J Clin Virol 2004, 31:69-75.
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Yamamoto N, Yang R, Yoshinaka Y, et al. HIV protease inhibitor nelfinavir inhibits replication of SARS-associated coronavirus. Biochem Biophys Res Commun 2004, 318:719-725.
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Chan KS, Lai ST, Chu CM, et al. Treatment of severe acute respiratory syndrome with lopinavir/ritonavir: a multicentre retrospective matched cohort study. Hong Kong Med J 2003, 9:399-406.
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Chu CM, Cheng VC, Hung IF, et al. Role of lopinavir/ritonavir in the treatment of SARS: initial virological and clinical findings. Thorax 2004, 59:252-256.
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Park SY, Lee JS, Son JS, et al. Post-exposure prophylaxis for Middle East respiratory syndrome in healthcare workers. J Hosp Infect 2019, 101:42-46.
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Spanakis N, Tsiodras S, Haagmans BL, et al. Virological and serological analysis of a recent Middle East respiratory syndrome coronavirus infection case on a triple combination antiviral regimen. Int J Antimicrob Agents 2014, 44:528-532.
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Kim UJ, Won EJ, Kee SJ, Jung SI, Jang HC. Combination therapy with lopinavir/ritonavir, ribavirin and interferon-alpha for Middle East respiratory syndrome. Antivir Ther 2016, 21:455-459.
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Chen J, Ling Y, Xi XH, et al. Efficacies of lopinavir/ritonavir and abidol in the treatment of novel coronavirus pneumonia. Chinese Journal of Infectious Diseases 2020, 38(0):E008-E008.
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Wang Z, Chen X, Lu Y, Chen F, Zhang W. Clinical characteristics and therapeutic procedure for four cases with 2019 novel coronavirus pneumonia receiving combined Chinese and Western medicine treatment. Biosci Trends 2020.
27.04.2019
Dovato® statt „Duomeq“ – EMA gibt grünes Licht
Die EMA hat die neue duale Therapie Dovato® positiv bewertet. Dovato® enthält die fixe Kombination aus 50 mg Dolutegravir und 300 mg 3TC. Gegenüber dem klassischen Dolutegravir-STR Triumeq® ist also die Abacavir-Komponente entfernt worden. Die Indikation bezieht sich wahrscheinlich zunächst nur auf therapienaive Patienten (älter als 12 Jahre) ohne Resistenzen gegen beide Substanzen.
Die Empfehlung beruht auf den beiden großen, doppelblind-randomisierten Phase III-Studien GEMINI-1/2, die im letzten Jahr vorgestellt und im Januar im Lancet veröffentlicht wurden (Cahn 2019). In diesen wurde Dolutegravir plus 3TC mit Dolutegravir plus TDF+FTC bei 1.441 Patienten mit einer Viruslast von weniger als 500.000 Kopien/ml verglichen. Nach 48 Wochen hatten 91 versus 93 % eine Viruslast unter der Nachweisgrenze. Das Studienziel, die Nicht-Unterlegenheit des dualen Arms, wurde erreicht. In den seltenen Fällen des Therapieversagens zeigte sich bislang keine Resistenz, und auch bei hochvirämischen Patienten war die duale Therapie wirksam. Schwere Nebenwirkungen waren gleich häufig, nur bei den „drug-related AEs“ zeigte sich ein leichter Unterschied (18 versus 24 %), ebenso bei einigen renalen und ossären Biomarkern. Reicht das, um eine neue Ära einzuläuten? Kritikpunkt bleibt, dass gegen TDF getestet wurde, nicht gegen TAF. Zu beachten ist auch, dass bei niedrigen CD4-Zellen unter 200/µl die Ansprechraten in der Snapshot-Analyse schlechter waren (79 % versus 93 %), bei allerdings kleinen Fallzahlen und nur wenigen therapiebedingten Abbrüchen. Die Beobachtungsdauer ist zudem noch kurz. Weitere Studien, darunter TANGO und ASPIRE an vorbehandelten Patienten, laufen. In ASPIRE wurde unter Dolutegravir plus 3TC keine erhöhte residuale Virämie beobachtet (Li 2018).
Dennoch: Dovato® ist eine interessante neue Option in der HIV-Therapie. Man darf gespannt sein auf den genauen Zulassungstext und natürlich auch den Preis. In jedem Fall dürfte dieses „Duomeq“ nicht nur Triumeq® Konkurrenz machen, sondern auch Biktarvy®, der Kombination aus Bictegravir plus TAF+FTC.
Literatur
Cahn P, Madero JS, Arribas JR, et al. Dolutegravir plus lamivudine versus dolutegravir plus tenofovir disoproxil fumarate and emtricitabine in antiretroviral-naive adults with HIV-1 infection (GEMINI-1 and GEMINI-2): week 48 results from two multicentre, double-blind, randomised, non-inferiority, phase 3 trials. Lancet 2019, 393:143-155.
Li J, Sax P, Marconi V, et al. No significant changes to residual viremia after switch to dolutegravir and lamivudine in a randomized trial. Abstract O145, HIV Glasgow 2018, 28–31 October 2018, Glasgow, UK.
08.03.2019
Schlaflos in Seattle: CROI 2019, 4.-7. März
Strahlende Märzsonne empfing die Teilnehmer, und der 85 km entfernte Vulkanriese Mount Rainer grüßte majestätisch aus der Ferne. Doch für einen Ausflug war keine Zeit: Die diesjährige CROI in Seattle hatte es wieder in sich. Insgesamt 1027 akzeptierte Abstracts waren durchzuarbeiten, darunter 35 Late-Breaker. Die Akzeptanz der eingereichten Arbeiten lag bei 53 %, bei den Late-Breakern nur 19 %. Dennoch war man teilweise verwundert, was so angenommen wurde (und was fehlte). Der große Teil kam aus Nordamerika (63 %), der Anteil europäischer Arbeiten lag bei 21 %. Aus Deutschland kamen wie in den Vorjahren nur sehr wenige Abstracts. Es folgt eine (mehrteilige) Übersicht über klinisch relevante Arbeiten, deren Anteil im Vergleich zu den Vorjahren eher abgenommen hat.
Heilung – ein neuer Berlin-Patient aus London
Es nützt wohl nichts: Wir müssen mit Heilung anfangen, die mediale Berichterstattung lässt einem kein Wahl: Ein zweiter HIV-Patient ist möglicherweise geheilt, Timothy Brown hat einen Nachfolger gefunden. Der neue Fall aus London schaffte es immerhin in die Abendnachrichten (Gupta #29LB). Der Patient mit therapierefraktärem Hodgkin-Lymphom hatte die Stammzelltransplantion mit Zellen eines Fremdspenders im Mai 2016 erhalten (dem wie bei Browns Fall aufgrund eines genetischen Defekts wichtige Korezeptoren fehlen). Die ART wurde im September 2017 abgesetzt, seit nunmehr 18 Monaten ist die HIV-RNA unter der Nachweisgrenze. Anders als der Berlin-Patient erhielt der London-Patient nur eine Transplantation (nicht zwei) und keine Ganzkörper-Bestrahlung. Zwei bisherige Erklärungen, warum der Berlin-Patient geheilt wurde, sind damit hinfällig. Möglicherweise gibt es auch noch einen dritten geheilten Patienten aus Düsseldorf. Björn-Ole Jensen berichtet über einen ähnlichen Fall, der Patient hat allerdings erst im November 2018 die ART abgebrochen, für eine Prognose ist es noch zu früh (Jensen #394LB). Klar ist aber auch, dass diese Patienten Ausnahmen bleiben werden. Ein allogene Stammzelltransplantation ist viel zu aufwändig, teuer und vor allem riskant, um allein bei einer HIV-Infektion vertretbar zu sein. Dieser Ansatz ist sicher nicht allgemein praktikabel.
Auf der Suche nach weiteren Heilungen gab es indes auch wieder ein paar Rückschläge zu verkraften. So blieb der HDAC-Inhibitor Romidepsin in einer randomisierten Studie jeden Nachweis einer Wirkung auf die HIV-Expression schuldig. Für die “Kick and Kill”-Strategie, bei der infizierte Zellen aktiviert und dann (hoffentlich) vom Immunsystem getötet werden sollen, kommt er jedenfalls nicht in Frage (McMahon #26). Die Effekte des PD1-Inhibitoren Pembrolizumab (eine Substanz aus der Krebstherapie) waren ebenfalls allenfalls moderat – trotzdem bleibt die Blockade der Immune-Checkpoints ein spannendes Konzept, um die latenten Reservoire zu leeren (Uldrick #27). Dies gilt auch für den Tyrosinkinase-Inhibitor Dasatinib (wird bei Chronischer Myeloischer Leukämie eingesetzt) gelten, der im Mausmodell antiretroviral effektiv war und das Reservoir reduzierte (Salgado #363).
Breit neutralisierende Antikörper (bnABs)
Gerade in den letzten Jahren wurden breit neutralisierende Antikörper (bnABs) mit einer hohen Potenz entwickelt. Zahlreiche klinische Trialsnlaufen, zum einen als Prävention, zum anderen aber auch mit therapeutischem Ziel, und zwar nicht nur komplementär zusätzlich zur ART, sondern auch mit dem Potential, die ART zu ersetzen, infizierte Zellen zu eliminieren und das virale Reservoir zu reduzieren (Review: Bhiman 2017). In 2015 zeigten zwei Pilotstudien erstmals antivirale Effekte bei HIV-Infizierten, was die Forschung noch einmal ganz erheblich beflügelt hat (Caskey 2015, Lynch 2015). Ende 2018 sorgte eine weitere Studie für Aufsehen, in der sich bei Patienten ohne ART die Virussuppression mithilfe von bnAB-Kombinationen zumindest für einige Wochen aufrechterhalten ließ (Mendoza 2018), bei einigen wenigen auch für längere Zeit. Wahrscheinlich wird hier auch etwas im Immunsystem zumindest passager verbessert. Einige wenige und ein paar Wochen reichen freilich nicht, und deswegen arbeitet man derzeit intensiv an einer weiteren Verbesserung der Antikörper mit längerer Halbwertzeit. GS-9722 ist ein bNAb, der besonders effektiv und gezielt HIV-infizierte Zellen eliminieren und so das Reservoir reduzieren soll (Thomsen #356). Er befindet sich derzeit in Phase Ib. Zukünftige Studien werden GS-9722 in Kombination mit anderen bNABs. Trispezifische Antikörper (die an drei Stellen des HIV envelope-Antigens ansetzen) sind im Affenmodell hochprotektiv. Sie sollen aber auch nicht nur schützen, sondern auch hocheffektiv wirken, auch bei bnAB-resistenten Viren (Pegu #28LB). Allerdings müssen sie jedoch auch erst einmal zeigen, dass sie verträglich sind und nicht Autoimmunphänomene hervorrufen. Ob sie besser sind, als die in Kombination gegebenen Einzel-Antikörper, ist auch nicht klar. Resistenzen sind möglicherweise auch ein Problem – diese könnten durch weitere Kombinationen überwunden werden, aber auch durch CAR-T-Zellen (Anthony-Gonda #359).
Long Acting (LA) mit Cabotegravir und Rilpivirin, alle vier Wochen: Phase III
Für ATLAS und FLAIR, zwei große randomisierte Phase III-Studien an erfolgreich vorbehandelten Patienten, wurden die 48-Wochen-Daten vorgestellt. In ATLAS waren 705 Patienten mit verschiedenen ART-Regimen im Mittel vier Jahre erfolgreich vorbehandelt (Swindells #139), in FLAIR hatten 629 therapienaive Patienten zunächst eine Induktionstherapie mit Triumeq® für 20 Wochen erhalten, 566 wurden randomisiert (Orkin # 140LB). In beiden Studien blieb jeweils die eine Hälfte der Patienten auf der alten ART bzw. Triumeq®, die andere wechselte auf vierwöchentliche Injektionen. Sowohl in ATLAS als auch in FLAIR zeigte sich die Nicht-Unterlegenheit von LA. Die Rate an Patienten unter der Nachweisgrenze war vergleichbar (ATLAS 92.5 versus 95.5 %, in FLAIR 93.6 versus 93.3 %), allerdings gab es in beiden Studien im LA-Arm insgesamt einige wenige virologische Versager, von denen 6 eine Kombination aus NNRTI- und INSTI-Resistenzen zeigten – quasi ein virologischer Totalschaden. Auch wenn es in 5/6 Fällen russische Patienten mit dem HIV-Subtyp A waren – LA hat hier erste Kratzer erhalten. Daneben bleiben viele Fragen weiterhin unbeantwortet: Was ist zu tun, wenn eine interaktionsträchtige Komedikation notwendig ist? Ist dann eine Überbrückung (mit was?) möglich, wann nötig? Wie lang muss die orale „Lead-In“-Phase sein? Der „PK-Tail“ am Ende: wie lang darf er sein? Wie ist die praktische Organisation vierwöchiger i.m.-Injektionen, einer Umstellung auf andere Regime, zum Beispiel bei interaktionsträchtiger Komedikation?
Machen Integrasehemmer dick?
In vielen Zentren sind INSTIs inzwischen die weitaus häufigste Medikamentengruppe geworden. Auf der diesjährigen CROI kam zum ersten Mal ein bisschen Gegenwind. Eine ganze Session drehte sich um Gewichtszunahmen unter INSTIs, die in den letzten Monaten mindestens in zwei randomisierten Studien gesehen wurden. Zahlreiche Kohorten wurden vorgestellt. Die meisten Studien berichteten dabei von ca. 0.5-1 Kilogramm pro Jahr, das im Vergleich zu PIs oder NNRTIs zusätzlich zugelegt wird. Vor allem Frauen, schwarze und alte Patienten scheinen betroffen zu sein. Nur eine Studie fand in der multivariaten Analyse keinen Zusammenhang mehr zwischen INSTIs und Gewichtszunahmen (McComsey #671). Bei den INSTIs lag Dolutegravir meist „vorne“ (Lake #669, Bourgi #670, Palella #674), in einer Studie interessanterweise auch Elvitegravir (Bedimo #675). In einer Studie an über 1000 Frauen stieg auch der Blutdruck. Fazit: Das Signal ist nun in der Welt und nicht mehr wegzudiskutieren – nun geht es daran, die Mechanismen bzw. Ursachen für die Gewichtszunahmen aufzudecken. Nach Lipodystrophie oder Insulinresistenz sieht es übrigens nicht aus.
TEIL 2 folgt!
31.12.2018
Ein Rückblick auf die HIV-Therapie 2018 – was gab es Neues?
Eine Übersicht von Christian Hoffmann
Haben wir jemals soviel mit unseren Patienten über die laufende antiretrovirale Therapie und neue Optionen geredet wie in diesem Jahr? Der massive Preisverfall bei den Generika-Präparaten und der zunehmende Druck, wirtschaftlich zu verordnen, sind nicht die einzigen Gründe. Auch die neuen Optionen am Horizont (duale Therapien, Long Acting) sind ständiges Thema. Und mussten sich HIV-Behandler jemals innerhalb weniger Monate fünf neue Handelsnamen – Biktarvy®, Juluca®, Pifeltro®, Delstrigo®, Trogarzo® – merken? Wohl nicht. Es besteht kein Zweifel: 2018 war ein erfolgreiches Jahr in der HIV-Therapie. Die wichtigsten Entwicklungen (subjektive Auswahl!) sollen im Folgenden besprochen werden.
Duale Therapien mit 3TC
War der Welt-AIDS-Kongress in Amsterdam im Juli der Durchbruch für die duale Therapie? Es wird spannend, die ersten beiden großen Phase-III-Studien an therapienaiven Patienten sind jedenfalls viel versprechend: In GEMINI-1/2 wurden Dolutegravir plus 3TC doppelblind mit Dolutegravir plus TDF+FTC bei 1.433 Patienten mit einer Viruslast von weniger als 500.000 Kopien/ml verglichen (Cahn 2018). Nach 48 Wochen hatten 91 versus 93 % eine Viruslast unter der Nachweisgrenze. Das Studienziel, die Nicht-Unterlegenheit des dualen Arms, wurde erreicht. In den seltenen Fällen des Therapieversagens zeigte sich bislang keine Resistenz, und auch bei hochvirämischen Patienten war die duale Therapie wirksam. Schwere Nebenwirkungen waren gleich häufig, nur bei den „drug-related AEs“ zeigte sich ein leichter Unterschied (18 versus 24 %), ebenso bei einigen renalen und ossären Biomarkern. Aber reicht das schon, um eine neue Ära einzuläuten? Kritikpunkt bleibt, dass gegen TDF getestet wurde, nicht gegen TAF. Zu beachten ist auch, dass bei niedrigen CD4-Zellen unter 200/µl die Ansprechraten in der Snapshot-Analyse schlechter waren (79 % versus 93 %), bei allerdings kleinen Fallzahlen und nur wenigen therapiebedingten Abbrüchen. Die Beobachtungsdauer ist zudem noch kurz. Weitere Studien, darunter TANGO und ASPIRE an vorbehandelten Patienten, laufen. In ASPIRE wurde unter Dolutegravir plus 3TC keine erhöhte residuale Virämie beobachtet (Li 2018). Eine Kombinationstablette aus Dolutegravir und 3TC soll nächstes Jahr auf den Markt kommen. Man darf schon jetzt sehr gespannt sein auf die genaue Zulassung und den Preis. In jedem Fall dürfte dieses „Duomeq“ nicht nur Triumeq® Konkurrenz machen, der Kombination aus Dolutegravir plus Abacavir+3TC. Auch Biktarvy® (siehe unten) wird sich wappnen müssen.
Nuke-freie, duale Therapie
Als erste duale Therapie ohne NRTIs („Nuke-frei“) wurde im Juni des Jahres Juluca® bei vorbehandelten Patienten zugelassen, die Fixkombination aus Dolutegravir und Rilpivirin. In zwei großen Phase-III-Studien (SWORD I+II, n=1.028) wurde Juluca® gegen die Fortführung einer erfolgreichen ART getestet (Llibre 2018). Virologisches Versagen war sehr selten, INSTI-Resistenzen traten überhaupt nicht auf. Ein kleiner Wermutstropfen blieb freilich: ZNS-Nebenwirkungen führten eher zum Abbruch, auch milde Nebenwirkungen waren mit 17 % versus 2 % häufiger zu beobachten. Zu beachten ist, dass Juluca® wegen Rilpivirin zu einer Mahlzeit eingenommen werden muss und dass die Einschlusskriterien in SWORD streng waren: Maximal zwei Vortherapien, kein virologisches Versagen, keine Resistenzen, keine Hepatitis B. Gezeigt wurde bislang nur, dass es günstig für die Knochendichte ist, wenn TDF abgesetzt wird (McComsey 2018) – dies zeigte sich in vielen Studien allerdings auch bei einem Wechsel auf TAF oder Abacavir. Mit Blick auf die Nebenwirkungen: Das Argument, es entwickelten eben immer ein paar Patienten Nebenwirkungen, wenn von einer gut verträglichen Baseline-Therapie auf ein neues Präparat gewechselt wird, bedeutet eben auch, dass eine gut verträgliche Baseline-Therapie nicht ohne Grund gewechselt werden sollte.
Neues zu Nebenwirkungen
Zu betonen ist, dass wir, was Nebenwirkungen angeht, 2018 in einer anderen Liga spielen als noch vor ein paar Jahren. Schwere Nebenwirkungen, die zum Abbruch führen, sind selten geworden. Dennoch sind Dinge wie die bislang unerklärten neuropsychiatrischen Probleme unter Integrasehemmern (Review: Yombi 2018) nicht wegzureden. Patienten werden anspruchsvoller. Zu Recht. Solange eine Heilung nicht in Sicht ist, brauchen wir einen Plan B – dieser bedeutet eben eine jahrzehntelange Therapie, bei der am Ende auch kleine Unterschiede den Ausschlag geben werden. Schon milde Schlafstörungen, die in randomisierten Studien möglicherweise von Patienten und Ärzten toleriert (oder der ART gar nicht erst zugeordnet) werden, führen in der klinischen Routine zum Wechsel der Therapie. Was soll man auch sonst tun? Viel wird auch über Gewichtszunahme spekuliert, die bei einigen Patienten mitunter beachtliche Ausmaße annimmt. Ist es am Ende das Tenofovir-AF, wie eine retrospektive Studie aus München nahelegt (Gomez 2018)? Oder sind es doch die Integrasehemmer, worauf in Glasgow die Resultate der NEAT22-Studie (offen randomisierter Wechsel von PIs auf Dolutegravir) hindeuteten (Waters 2018)? Was sind die Mechanismen? In Glasgow wurde über Adiponektin spekuliert. Der Abfall dieses Hormons, das u.a. das Hungergefühl und die Insulinwirkung moduliert, ging in NEAT22 mit einer Zunahme des BMI einher (Martinez 2018). Verstärken die INSTIs einfach nur den Appetit? Lipodystroph sehen die Patienten jedenfalls nicht aus.
Bictegravir – das Maß aller Dinge?
Ende Juni wurde Biktarvy® zugelassen, die Fixkombination aus TAF+FTC und dem Integrasehemmer Bictegravir. Der Preis ist vergleichsweise günstig. Interessanterweise sind bislang keine Studien zur dualen Therapie mit Bictegravir geplant, Gilead setzt voll auf die Dreifachtherapie. Ob das klug und Bictegravir besser ist als andere Integrasehemmer, werden wir sehen. Es bleibt abzuwarten, was Biktarvy® abgesehen vom Preis, an Vorteilen zu bieten hat. Wenn von gut verträglichen PI-Regimen auf Biktarvy® gewechselt wird, zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei Juluca® – 19 versus 2 % Nebenwirkungen, ein Wechsel ohne triftigen Grund macht daher wenig Sinn (Daar 2018). Im direkten Vergleich mit Dolutegravir traten nach 96 Wochen etwas weniger AEs auf (20 % versus 28 %; Stellbrink 2018), Studienabbrüche aufgrund von AEs waren in beiden Armen selten (je 2 %). Die in den doppelblind randomisierten Zulassungsstudien bessere Verträglichkeit von Biktarvy® gegenüber Triumeq® war sicherlich zum Teil auch auf Abacavir zurückzuführen (Molina 2018, Wohl 2018).
Abacavir – eine Ära geht zu Ende
Überhaupt Abacavir: Mit diesem inzwischen generisch verfügbaren NRTI geht es wohl allmählich zu Ende. Das in vielen Kohortenstudien beobachtete, leicht erhöhte kardiovaskuläre Risiko scheint nun hinreichend erklärt. Die zugrunde liegenden Pathomechanismen konnten auf der CROI in Boston im März überzeugend aufgedeckt werden (Mallon 2018, O’Halloran 2018, Taylor 2018). Prognose: Die prothrombogenen Eigenschaften werden dafür sorgen, dass Abacavir weiter in den Hintergrund tritt.
Der Backbone: Tenofovir-AF oder -DF?
Gilt das auch für TDF? Nun ist TAF sicherlich weniger toxisch für Niere und Knochen. Einer Metaanalyse zufolge scheint dies aber nur für geboosterte Regime zu gelten – ohne Ritonavir oder Cobicistat sind die Unterschiede marginal (Hill 2018). Die unverhältnismäßig höheren Kosten für TAF, Berichte zu Gewichtszunahme, aber auch schwierig kalkulierbare Interaktionen (Cerrone 2018) tun ein Übriges bei der Frage, ob TAF TDF vorzuziehen ist: der Riss geht noch immer quer durch die Szene. Um das Ende von TDF einzuläuten, ist es sicherlich zu früh. Delstrigo®, die im September 2018 von der FDA zugelassene Fixkombination aus TDF+FTC und dem neuen NNRTI Doravirin (die Einzelsubstanz wird Pifeltro® heißen), könnte neue Argumente für TDF liefern. Doravirin hat sich in direkten Vergleichen als besser verträglich als Efavirenz und nicht unterlegen zu Darunavir erwiesen, die Resistenzbarriere scheint höher als bei anderen NNRTIs zu sein (Orkin 2018, Molina 2018). Man darf auf den Preis von Delstrigo® gespannt sein, mit dem MSD in den Markt geht; die Zulassung in Deutschland steht unmittelbar bevor.
Schwangerschaft, HEU-Kinder
Für viel Aufsehen sorgte eine Studie zu Neuralrohrdefekten bei Kindern aus Botswana, deren Mütter mit Dolutegravir behandelt worden waren. Insgesamt 4/426 (0,94 %) kamen mit diesen Defekten zur Welt, verglichen mit nur 14/11.300 (0,12%) Kindern, deren Mütter andere ART-Regime erhalten hatten (Zash 2018). Nun sind diese Berichte vorläufig, ein Update der Inzidenzen wird für Anfang 2019 erwartet; nichtsdestotrotz sollte man mit neuen Substanzen – und dazu zählen die Integrasehemmer, auch Bictegravir – in der Schwangerschaft weiterhin sehr vorsichtig sein. Schwangerschaftsregister bleiben wichtig! In diesem Zusammenhang ist immer mehr von den HEU-Kindern die Rede. Schätzungsweise 1,4 Millionen werden jedes Jahr geboren, HEU steht für „HIV-exposed uninfected“. Unterscheiden HEU-Kinder sich von anderen Kindern, und wenn ja, durch was und warum? Was ist durch antiretrovirale Therapie bedingt, was durch die HIV-Infektion der Mutter, was durch die individuellen, oft schwer objektivierbaren „Umstände“ (Nikotin, Alkohol, Drogen, Ernährung etc)? Eine Vielzahl von Studien, die hier nicht im Einzelnen aufgezählt werden können, widmete sich dem Thema – es geht nicht nur um Geburtsdefekte, sondern auch um Wachstum, Geburtsgewicht, immunologische und neurale Entwicklung und vieles mehr (McHenry 2018, Snijdewind 2018, Goetghebuer 2018). Vieles bleibt offen. Die in Hamburg initiierte, 2019 anlaufende CLARE-Studie wird hoffentlich einige Fragen beantworten.
Resistenzen – neue Optionen
In Zeiten von Dolutegravir und Darunavir kommen inzidentelle Multiresistenzen nur noch anekdotisch vor (Däumer 2018). Und dennoch gibt es diese Patienten ohne Optionen. Im März wurde in den USA Trogarzo® (Ibalizumab) zugelassen, ein alle zwei Wochen zu infundierender CD4-Antikörper. Allerdings offenbarte die im New England Journal veröffentlichte Studie an 40 (!) Patienten, dass die Wirkung bei niedrigen CD4-Zellen und hoher Viruslast begrenzt ist (Emu 2018). Auch mit Fostemsavir, dem neuen, noch experimentellen Attachment-Inhibitor von ViiV, konnten in Anhängigkeit von CD4-Zellzahl und Viruslast nur moderate Ansprechraten zwischen 37 % und 63 % nach 24 Wochen erreicht werden (Pialoux 2018). Gerade für die wenigen „verzweifelten“ Fälle, die dringend neue Optionen benötigen, sind das nur bedingt gute Nachrichten. Von Bictegravir oder Cabotegravir ist (ähnlich wie von Dolutegravir) bei bestimmten INSTI-Resistenzmutationen wie z.B. E138K/G140A/Q148K auch kaum etwas zu erwarten (Smith 2018). Man kann nur auf MK-8591 hoffen, den in Phase II befindlichen nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Translokation-Inhibitor von MSD. MK-8591 soll gegen NRTI-resistente Viren eine stärkere antivirale Wirkung haben als alle bislang verfügbaren NRTIs gegen Wildtyp-Viren (Grobler 2018).
Long Acting
Mehr und mehr Patienten fragen nach der „neuen Spritzentherapie“. LATTE-2, als Pionier-Studie vor Jahren gestartet, kreist jetzt seit nunmehr 160 Wochen im Orbit. Cabotegravir und Rilpivirin, ob alle 4 oder alle 8 Wochen injiziert, scheinen auch über gut drei Jahre hinweg wirksam zu sein (Margolis 2018). Ergebnisse der aktuell noch laufenden Phase III-Studien stehen noch aus, aber schon jetzt drängen sich praktische Fragen auf. Ein Patient, der sich aus beruflichen Gründen aus LATTE-2 zurückziehen will: Was kann man ihm eigentlich als Therapie anbieten? Und ab wann? Wie ist dieses „Bridging“ zu monitorieren? Es bleiben viele offene Fragen, und die Entwicklung der HIV-Therapie ist noch lange nicht am Ende.
Literatur
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Zash R, Makhema J, Shapiro RL. Neural-Tube Defects with Dolutegravir Treatment from the Time of Conception. N Engl J Med 2018, 379:979-981.
1.12.2018
Kurz vor dem Welt-AIDS-Tag hat das Robert-Koch-Institut die Zahlen von 2017 für Deutschland veröffentlicht. Die Kurzversion: Leicht rückläufige Neuinfektionen, vor allem bei MSM. Ein Effekt von TasP und PreP? Die Zahl der bislang nicht diagnostizierten Menschen mit HIV hat sich auf geschätzte 11.400 am Ende des Jahres 2017 erhöht: Es bleibt also viel zu tun! Insgesamt wurde die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen mit HIV auf etwa 86.100 geschätzt. Details finden sich im Epidemiologischen Bulletin:
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2018/Ausgaben/47_18.pdf?__blob=publicationFile
10.9.2018
Zwei neue Handelsnamen, die man sich wohl wird merken müssen: Pifeltro® und Delstrigo®. Beide Präparate wurden jetzt von der amerikanischen FDA für die Behandlung der HIV-Infektion zugelassen. Pifeltro® ist der NNRTI Doravirin, Delstrigo® die Fixkombination aus eben diesem Doravirin plus TDF+3TC. Mit der Zulassung in Europa wird erst in einigen Wochen gerechnet. Nach Trogarzo® (Ibalizumab), Juluca® (Dolutegravir plus Rilpivirin) und Biktarvy® (Bictegravir plus TAF+FTC) wären das die HIV-Präparate Nummer vier und Nummer fünf innerhalb nur weniger Monate.
16.8.2018
Wie man es mit einer kleinen Studie an nur 31 Patienten ins New England Journal of Medicine schaffen kann, zeigt das Beispiel Ibalizumab (Hersteller: Theratechnologies). Eine gute Wirkung dieses Antikörpers wurde auch bei multiplen Resistenzen gezeigt, nachzulesen unter
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1711460
24.7.2018
Auf der diesjährigen Welt-AIDS-Konferenz in Amsterdam gab es viele Daten zu neuen Substanzen und zu dualen Therapie, aber auch zur PREP.
Ein wie immer hochklassig besetztes Webinar (Doc Check erforderlich) ist verfügbar unter
https://webinare.dagnae.de/downloads/2018
29.Februar 2016
Telegramm aus Boston – ein CROI-Kurzbericht
von Christian Hoffmann
Über 1.000 Beiträge gab es auf der diesjährigen CROI in Boston, der wichtigsten HIV-Konferenz des Jahres. Keine Lust, alles zu lesen? Hier ein Schnelldurchlauf durch die – aus klinischer Sicht – interessantesten 50 Abstracts zu den Themen Heilung, neue Ansätze, antiretrovirale Therapien, Prävention und Hepatitis.
Heilung
Breit neutralisierende Antikörper waren ein wichtiges Thema, der meist diskutierte war VRC01, der sich im letzten Jahr in ersten Pilotstudien als antiviral wirksam erwiesen hat. Nach PK-Studien sind zweiwöchentliche subkutane Gaben möglich (#90). In zwei Pilotstudien zeigte sich nun in Boston allerdings kein Effekt auf den viralen Rebound wären Therapiepausen, und zwar trotz noch vorhandener Wirkspiegel (#32LB, #311LB). Als alleiniger Antikörper reicht VRC01 wohl deshalb nicht (Kombinationen notwendig), möglicherweise sind die aus dem Tiermodell berechneten Spiegel nicht suffizient (der Mensch ist keine Maus). Auch bestand nur teilweise Selektionsdruck, wahrscheinlich gibt es präexistente Resistenzen.
Über “Shock and Kill“ wurde ebenfalls berichtet: dem Versuch, die latenten Reservoire mit einer Kombination aus Vakzinen und Romidopsin zu leeren. Die HIV-DNA sank mit dieser Prozedur um 40 %, bei 8/17 Patienten fand sich ein Anstieg der Viruslast im Sinne eines „Auswaschens“ – einen Effekt auf den Wiederanstieg während einer Therapiepause hatte das freilich auch nicht (#26LB).
Mehr oder weniger erfolgreiche Versuche wurden vorgestellt, in dem der Berlin-Patienten mittels allogener Stammzelltransplantation reproduziert werden sollte (#364-366).
Eine interessante Beobachtung war, dass PBMC von Patienten, die mit dem Tyrosinkinasehemmer Dasatinib (sonst eingesetzt bei CML) behandelt werden, resistent sind für eine HIV-Infektion. Möglicherweise könnten so latente Reservoire reduziert werden (#468).
Die Zahl der Post-Treatment-Controller ist niedrig: In einer Analyse von insgesamt 8 Studien zu Therapiepausen lag die Rate bei akut infizierten (und behandelten) Patienten etwas höher als bei chronisch infizierten: 6.6 % versus 2.5 % (#347).
Neue Ansätze und Therapien
Traditionell ein Schwerpunkt der CROI, klare Message: Die Pipeline ist auch im HIV-Bereich voll! In LATTE-2, einer Phase 2b Studie erhielten 309 Patienten nach einer Induktion entweder Cabotegravir LA + RPV LA („Long Acting“, i.m. injiziert) alle 4 bzw. 8 Wochen oder eine orale ART mit Cabotegravir plus ABC+3TC. In allen 3 Armen fanden sich hohe Raten an Patienten mit guter Virussuppression, die mit 94 % bzw. 95 % in den Injektionsarmen sogar höher waren. Allerdings wurden bei nahezu allen Patienten Reaktionen an den Einstichstellen beobachtet, nie gravierend, aber bei immerhin 17 % „moderat“ (#31LB).
EfdA oder MK-8591 ist ein nicht nukleosidischer RT Translokations Inhibitor (NRTTI), der die Translokation hemmt und sich lange in PBMC und Macrophagen anreichert bzw. dort persistiert. Die Halbwertzeit bei oraler Gabe liegt bei 150 Stunden, unter einer Einmalgabe von 10 mg (!) sank die Viruslast um 1.8 Logstufen und damit in etwa so wie mit 10 Tagen TDF/TAF. Die Verträglichkeit war bislang gut. PK Daten in Affen legen nahe, dass mit einer LA-Formulation eine einmal jährliche (!) Gabe möglich werden könnte (#98, #437).
BMS-986197, ein „Combinectin“, ist eine ganz neue, langwirksame Substanz, die auf drei verschiedenen Wegen den Eintritt von HIV in die Zielzelle hemmt. Adnectine sind kleine Proteine, die an gp41 und an CD4 binden. Günstige PK-Daten im Affenmodell legen nahe, dass einmal wöchentliche subkutane Injektionen möglich sind (#97).
BMS-955176, ein Maturationshemmer, der bereits in 2015 in klinischen Studien seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt hatte, zeigte nun eine gute Dosis-Wirkungs-Kurve (#425). Die Wirkung bleibt zumindest in vitro auch gegen hochgradig PI-resistente Isolate bestehen (#464).
Für den HIV-1 Attachment Inhibitor BMS-663068 wurden 96-Wochen-Daten vorgestellt, in der die Substanz bei vorbehandelten Patienten gegen Atazanavir getestet wurde. Die Wirkung und Verträglichkeit waren gut (#472). Da BMS-663068 diverse Transporter-Proteine (u.a. für Statine) hemmt, werden deutliche Spiegelerhöhungen für Rosuvastatin beobachtet, eine Dosisanpassung ist erforderlich (#460). Die Resistenzmechanismen gegen Maturationsinhibitoren werden immer besser verstanden (#465).
ABX464 ist eine Substanz mit einem ganz neuen Wirkmechanismus: es hemmt die Aktivität von Rev (dieses Protein vermittelt u.a. den nukleären Export von ungespleisster viraler RNA). Eine Pilotstudie in Thailand zeigte bei oraler Gabe von 150 mg für 12 Tage immerhin bei 4/6 Patienten einen Abfall der Viruslast um mehr als eine halbe Logstufe – nicht viel, aber Proof of Concept (#461LB).
Doravirin, ein neuer NNRTI, zeigte in Phase II eine Effektivität wie Efavirenz über 48 Wochen (plus TDF+FTC). Die Verträglichkeit war besser, es gibt keine Nahrungsrestriktionen wie bei Rilpivirin (#470). Wahrscheinlich besteht auch eine Wirksamkeit gegen NNRTI-Resistenzen wie u.a. Y181C (#506).
Neues zu (bekannten) antiretrovirale Therapien
START zeigte eindrucksvoll in einer Substudie: Mit der frühen ART steigt die Lebensqualität (#475)! Weitere Substudien: Durch die frühere ART gibt es keinen positiven Effekt auf die Elastizität von Arterien (#41) oder auf die Risikoscores kardiovaskulärer Erkrankungen (#659), wohl aber auf die Inzidenz Infektions-assoziierter Krebsarten (#160) und bakterieller Infektionen (#474).
In einer großen doppelblind randomisierten Studie an 663 Patienten mit verschiedenen ART-Regimen war der Wechsel von TDF auf TAF nach 96 Wochen besser, und zwar sowohl hinsichtlich Nierenfunktion als auch der Knochendichte. Welches Regime gegeben wurde, war egal (#29).
Dolutegravir wird möglicherweise in der klinischen Routine nicht so gut vertragen wie in den Studien. Eine niederländische Gruppe fand bei 388 Patienten eine Abbruchrate von immerhin 16 %, vor allem aufgrund Schlafstörungen, gastrointestinaler aber auch psychiatrischer Nebenwirkungen (#948).
Die Raten übertragener Resistenzen (TDR) sind unverändert hoch und betragen in Deutschland knapp 11 % (#485). Bei übertragenen TAMs sind NNRTIs wahrscheinlich nicht schlechter wirksam als geboosterte PIs (#482). Die CD4-Zellen scheinen bei unbehandelten Patienten mit TDR nicht langsamer abzufallen, man kann also nicht auf eine reduzierte Fitness hoffen (#486).
Mit dem Nuke-sparing Regime Darunavir/r plus Raltegravir zeigte sich in einer NEAT 001 Substudie überraschenderweise ein höherer Anstieg in „total and truncal fat mass“, und nicht mal Grace McComsey hatte in ihrem brillianten Übersichtsvortrag dafür eine Erklärung (#45).
Prävention
Die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) war auf der diesjährigen CROI ein Hot Spot. Zwei große Phase III-Studien mit Dapivirin-haltigen Vaginalringen, die monatlich appliziert wurden, zeigten etwa 30% Schutz (#109LB, #110LB). Gut zu wissen: der Knochendichte-Verlust ist nach Absetzen einer TDF-haltigen PrEP reversibel (#48LB). Bei 406 Patienten unter Maraviroc-haltiger PrEP kam es zu 5 HIV-Infektionen, darunter 4/5 mit niedrigen Spiegeln – es bleibt fraglich, ob Maraviroc als PrEP weiter verfolgt wird (#103). Unter Cabotegravir LA Injektionen blieben 21/24 Rhesusaffen auch bei intravenöser HIV-Exposition geschützt (#105), erste Studien an MSM zeigen die Machbarkeit und Akzeptanz dieses Ansatzes (#106, 471). Das grundsätzlich passiert, was passieren kann, zeigte ein viel beachteter Fallbericht eines Patienten, der sich trotz PREP mit einem multiresistenten Virus infizierte (#169LB). Aber braucht es die PREP eigentlich noch? Mit konsequenter Therapie (TasP) liesse die HIV-Epidemie eliminieren, wie Kalkulationen aus Kopenhagen nachwiesen: dort ist seit einiger Zeit die Zahl der Neuinfektionen unter MSM deutlich rückläufig (#1044).
Hepatitis
Wenn die Viruslast nicht zu hoch ist, reichen bei HIV-infizierten Patienten mit akuter Hepatitis C wohl 6 Wochen Sofosbuvir/Ledipasvir aus (#154LB). Diverse ART-Regime können mit Velpatasvir und Sofosbuvir kombiniert werden (#100), das gilt auch für Dolutegravir und Rilpivirin in Kombination mit Simeprevir und Sofosbuvir (#454). Mit dem pangenotypischen NS5A-Inhibitor Ravidasvir (in Ägypten entwickelt, bei uns heißt das: Daclatasvir) und Sofosbuvir ließen sich bei ägyptischen Patienten mit Genotyp 4 hohe SVR-Raten erzielen (#153).
Und sonst?
Es wurden detailliert genetische Varianten beschrieben, die das Risiko für eine HIV-Infektion nicht senken, sondern deutlich erhöhen (#17). Eine Studie aus Frankreich widmete sich den alten HIV-Patienten über 75: Mehr als die Hälfte hatten mindestens 2 relevante Komorbiditäten – wohl ein Blick in die Zukunft… (#709). Bei älteren HIV-Patienten (Achtung: hier über 27 Jahre!) ist die quadrivalente HPV-Vakzine wohl eher wirkungslos hinsichtlich der Prävention analer Präkanzerosen (#161). Auch gut zu wissen: Den Patienten „Null“ in den USA, der die Medien seit Jahrzehnten fasziniert, hat es vermutlich nie gegeben. Aufwändige Untersuchungen zeigten, dass es bereits 1978-79 bereits eine große genetische Diversität vorlag und dass es zahlreiche unabhängige „key founder events“ gab (#140).
Die besten 50 Abstracts aus klinischer Sicht
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Krystal M, Wensel D, Sun Y et al. HIV-1 Combinectin BMS-986197: A Long-Acting Inhibitor With Multiple Modes of Action. Abstract 97, 23rd CROI 2016, Boston.
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Leth S, Højen J, Schleimann M. Effect of Sequential Vacc-4x/GM-CSF Immunization and Romidepsin on the HIV Reservoir. Abstract 26LB, 23rd CROI 2016, Boston.
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Mackelprang RD, Emond M, Bamshad MJ. Rare Host Genetic Variation Influencing Risk of Heterosexual HIV-1 Acquisition. Abstract 17, 23rd CROI 2016, Boston.
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3.Januar 2016
Das Projekt HIV 2016/2017
Mit den Arbeiten zur Deutschen Ausgabe 2016/2017 wird in Kürze begonnen. Einiges ist zu tun! Wichtige Änderungen in Nationalen und Internationalen Leitlinien werden zu berücksichtigen sein. Zahlreiche neue Medikamente werden hinzukommen, und auch einige inhaltliche Änderungen werden vorgenommen: So wird es erstmals ein eigenes Kapitel zur HIV-2-Infektion geben. Herz- und Lungenerkrankungen werden zusammen gefasst.
12.Dezember 2015
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EACS Telegramm, 16.10.2013