– Christian Hoffmann –

Herpes simplex-Infektionen sind ein häufiges Problem bei HIV-Patienten, und vor allem bei deutlichem Immundefekt (unter 100 CD4-Zellen/µl) sind chronische Verläufe möglich.  Zu unterscheiden sind zwei Viren:

HSV-1 wird durch Schleimhautkontakt (Küssen) übertragen und verursacht juckende periorale Bläschen an Lippen, Zunge, Gaumen oder Mundschleimhaut.

HSV-2 wird sexuell übertragen und verursacht herpetiforme Läsionen an Penis, Vagina, Vulva und Anus. Die Läsionen erhöhen das Transmissionsrisiko für HIV deutlich (Freeman 2006, Ouedraogo 2006, siehe auch das Kapitel Prävention).

In schweren Fällen können andere Organe mitbetroffen sein. Hierzu zählen Ösophagus (Ulzera), ZNS (Enzephalitis), Auge (Keratokonjunktivitis, Uveitis) und Atemwege (Pneumonitis, Bronchitis). In diesen Fällen und bei Persistenz über mehr als vier Wochen gilt die Herpes-simplex-Infektion als AIDS-definierend.

Klinik

Die Bläschen jucken und brennen. Bei oralem Befall ist die Nahrungsaufnahme erschwert. Bei genitalem oder analem Befall (Proktitis!) können Miktion und Defäkation sehr schmerzhaft sein. Bei schwerem Immundefekt sind ausgedehnte Läsionen möglich. Oft sind regionäre Lymphknoten geschwollen. Die Klinik disseminierter Herpes-Infektionen richtet sich nach den betroffenen Organen.

Diagnostik

Bei oralem, genitalem oder perianalem Befall reicht oft die Blickdiagnose. Im Zweifel kann ein Abstrich entnommen werden, der in einem Virus-Kulturmedium rasch ins Labor gebracht werden muss. Auch Resistenztests bei therapierefraktären Läsionen sind möglich. Organmanifestationen werden meist histologisch diagnostiziert. Bei der HSV-Enzephalitis ist die Diagnose schwierig, da der Liquor oft nicht weiterhilft. Serologien haben nur Assagekraft, wenn sie negativ sind (selten) und somit eine HSV-Infektion unwahrscheinlich machen.

Therapie

Jede Therapie ist umso wirksamer, je schneller sie begonnen wird. Bei gutem Immunstatus und nur diskreten Läsionen kann die topische Gabe von Aciclovir reichen. Penciclovir-Creme (Vectavir®) ist wahrscheinlich genauso effektiv (Chen 2000) und angeblich etwas weniger reizend, allerdings deutlich teurer.

Systemisch bleibt Nukleosidanalogon Aciclovir Mittel der Wahl. Es hemmt die DNS-Polymerase der Herpesviren. Resistenzen sind auch 40 Jahre nach Markteinführung selten (Levin 2004). Aciclovir wird gut vertragen und wirkt gegen HSV-1 und HSV-2. In schweren Fällen und bei Organmanifestationen sollte intravenös behandelt werden. Da die ZNS-Spiegel niedriger sind als im Plasma, ist die Dosis bei einer Enzephalitis zu erhöhen. Bei der intravenösen Gabe von Aciclovir sollten die Nierenwerte kontrolliert werden.

Gleichwertige Alternativen sind Valaciclovir und Famciclovir (Ormrod 2000, Conant 2002), die bei besserer oraler Verfügbarkeit weniger oft eingenommen werden müssen, dafür teurer und bei Immunsuppression nicht zugelassen sind. Sie sollten nur eingesetzt werden, wenn Aciclovir nicht wirkt. Wir haben mit Famciclovir, einer Prodrug von Penciclovir (Vinh 2006), gute Erfahrungen gemacht. Bei unkomplizierten, genitalen Läsionen reichen möglicherweise nur zwei Tage 500 mg Famciclovir aus, sofern kein Immundefekt besteht (Bodsworth 2008). Bei HSV-1 und VZV ist Brivudin eine Alternative, das allerdings die mitochondriale Toxizität verstärken und die Wirkung von ART gefährden kann (Ulrich Walker, pers. Mitteilung).

Therapie/Prophylaxe der HSV-Infektion (Tagesdosierung)

Akuttherapie

Dauer: 7-14 Tage

1. Wahl

Aciclovir

Aciclovir ratiopharmÒ 5 x 1 Tbl. à 400 mg

Schwere Fälle

Aciclovir p.i.Ò 3 x ½-1 Amp. à 500 mg (3 x 5-10 mg/kg) i.v.

Alternativen

Valaciclovir

ValtrexÒ 3 x 2 Tbl. à 500 mg

Alternativen

Famciclovir

FamvirÒ 3 x 1 Tbl. à 250 mg

Alternativen

Brivudin

ZostexÒ 1 x 1 Tbl. à 125 mg

Prophylaxe

Nicht empfohlen

In Ausnahmen, vor allem wenn Läsionen therapierefraktär bleiben, kann eine mehrwöchige Therapie mit Foscarnet sinnvoll sein. Neue Medikamente, die mit der Helicase ein weiteres Enzym der Herpesviren hemmen, waren im Tierversuch effektiver als Aciclovir – ihr klinischer Wert muss sich zeigen (Kleymann 2003). Bei schmerzhaften mukokutanen Läsionen ist zusätzlich ein Lokalanästhetikum sinnvoll. Leider wurde die bewährte Tetracain-Lösung (Herviros®) vom Markt genommen, manche Apotheke kann aber etwas Vergleichbares anrühren.

Prophylaxe

Eine Primärprophylaxe mit HSV-Medikamenten wird normalerweise nicht empfohlen. Eine frühe Metaanalyse, nach denen unter Aciclovir das Risiko sowohl von HSV- als auch HZV-Erkrankungen um mehr als 70 % und sogar die Mortalität sinken (Ioannidis 1998), ist heutzutage vermutlich zu relativieren. Allerdings: Bei hartnäckigen Rezidiven können niedrige Dauer-Dosen Aci­clo­vir oder Valaciclovir (DeJesus 2003, Warren 2004) sinnvoll sein.

Interaktionen zwischen HIV und Herpes simplex

Genitale HSV-Infektionen erhöhen das Risiko fast um das Dreifache, sich mit HIV zu infizieren (Freeman 2006) – siehe auch den Abschnitt zur Prävention im ART-Kapitel. Große randomisierte Studien konnten in den letzten Jahren zeigen, dass unter einer HSV-Therapie interessanterweise auch die HI-Viruslast sinkt, und zwar um 0,26-0,53 Logstufen unter Valaciclovir (Nagot 2007, Baeten 2008) und 0,25-0,34 Logstufen unter Aciclovir (Delany 2008, Celum 2010). Diese Reduktion war zwar auf den ersten Blick nicht sehr eindrucksvoll, aber eben doch signifikant. Wenn auch eine Aciclovir-Therapie die HIV-Transmission ganz offensichtlich nicht verhindern konnte (Celum 2008+2010, Watson-Jones 2008), haben diese Beobachtungen der HSV- und insbesondere der Aciclovir-Therapie in den letzten Monaten neues Leben eingehaucht (Vanpouille 2009). Mit einem Mal ist ein „Uralt-Medikament“ wie Aciclovir wieder interessant geworden: möglicherweise werden darauf aufbauend neue Derivate entwickelt werden können, deren antivirale Potenz bei guter Verträglichkeit hinsichtlich HIV besser ist.

Literatur

Baeten JM, Strick LB, Lucchetti A, et al. Herpes simplex virus (HSV)-suppressive therapy decreases plasma and genital HIV-1 levels in HSV-2/HIV-1 coinfected women: a randomized, placebo-controlled, cross-over trial. J Infect Dis 2008, 198:1804-8.

Bodsworth N, Bloch M, McNulty A, et al. 2-day versus 5-day famciclovir as treatment of recurrences of genital herpes: results of the FaST study. Short-Course Herpes Therapy Study Group. Sex Health 2008, 5:219-25.

Celum C, Wald A, Hughes J, et al. Effect of aciclovir on HIV-1 acquisition in herpes simplex virus 2 seropositive women and men who have sex with men: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2008, 371:2109-19.

Celum C, Wald A, Lingappa JR, et al. Acyclovir and transmission of HIV-1 from persons infected with HIV-1 and HSV-2. NEJM 2010, 362:427-39.

Chen XS, Han GZ, Guo ZP, et al. A comparison of topical application of penciclovir 1% cream with acyclovir 3% cream for treatment of genital herpes: a randomized, double-blind, multicentre trial. Int J STD AIDS 2000, 11:568-73.

Conant MA, Schacker TW, Murphy RL, et al. Valaciclovir versus aciclovir for herpes simplex virus infection in HIV-infected individuals: two randomized trials. Int J STD AIDS 2002, 13:12-21.

DeJesus E, Wald A, Warren T, et al. Valacyclovir for the suppression of recurrent genital herpes in HIV-infected subjects. J Infect Dis 2003; 188: 1009-16.

Delany S, Mlaba N, Clayton T, et al.  Impact of aciclovir on genital and plasma HIV-1 RNA in HSV-2/HIV-1 co-infected women: a randomized placebo-controlled trial in South Africa. AIDS 2009, 23:461-9.

Freeman EE, Weiss HA, Glynn JR, Cross PL, Whitworth JA, Hayes RJ. Herpes simplex virus 2 infection increases HIV acquisition in men and women: systematic review and meta-analysis of longitudinal studies. AIDS 2006, 20:73-83.

Ioannidis JP, Collier AC, Cooper DA, et al. Clinical efficacy of high-dose acyclovir in patients with HIV infection: a meta-analysis of randomized individual patient data. J Infect Dis 1998, 178:349-59.

Kleymann G. New antiviral drugs that target herpesvirus helicase primase enzymes. Herpes 2003, 10:46-52.

Levin MJ, Bacon TH, Leary JJ. Resistance of herpes simplex virus infections to nucleoside analogues in HIV-infected patients. Clin Infect Dis 2004, 39 Suppl 5:S248-57.

Nagot N, Ouedraogo A, Foulongne V, et al. Reduction of HIV-1 RNA levels with therapy to suppress herpes simplex virus. N Engl J Med 2007;356:790-9.

Ormrod D, Scott LJ, Perry CM. Valaciclovir: a review of its long term utility in the management of genital herpes simplex virus and cytomegalovirus infections. Drugs 2000, 59:839-63.

Ouedraogo A, Nagot N, Vergne L, et al. Impact of suppressive herpes therapy on genital HIV-1 RNA among women taking antiretroviral therapy: a randomized controlled trial. AIDS 2006, 20:2305-13.

Safrin S. Treatment of acyclovir-resistant herpes simplex virus infections in patients with AIDS. J Acquir Immune Defic Syndr 1992, Suppl 1:S29-32.

Vanpouille C, Lisco A, Margolis L. Acyclovir: a new use for an old drug. Curr Opin Infect Dis 2009, 22:583-7.

Vinh DC, Aoki FY. Famciclovir for the treatment of recurrent genital herpes: a clinical and pharmacological perspective. Expert Opin Pharmacother 2006, 7:2271-86.

Warren T, Harris J, Brennan CA. Efficacy and safety of valacyclovir for the suppression and episodic treatment of herpes simplex virus in patients with HIV. Clin Infect Dis 2004, 39 Suppl 5:S258-66.

Watson-Jones D, Weiss HA, Rusizoka M, et al. Effect of herpes simplex suppression on incidence of HIV among women in tanzania. N Engl J Med 2008, 358:1560-71.